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Homöopathie wird von Laien gerne mit der Pflanzenheilkunde gleichgesetzt, selbst Fachleute stellen - ob nun bewusst oder nicht - die Homöopathie gerne als Teil der Naturheilkunde dar. Aufgrund aktueller Todesfälle in den USA, die auf ein bestimmtes Homöopathikum mit Schwarzer Tollkirsche zurückgeführt werden, möchten wir im folgenden Text auf Unterschiede zwischen der Pflanzenheilkunde bzw. der Naturheilkunde im Allgemeinen und der Homöopathie eingehen.

Homöopathie und Naturheilkunde entwickelten sich etwa zur gleichen Zeit, nämlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Um zu verstehen, warum sie überhaupt entstanden, muss man auch ein wenig über die Medizin dieser Zeit wissen. Die damals gängige Medizintheorie, die Humoralpathologie (Säftelehre), war schwer in die Jahre gekommen. Entwickelt worden war sie von den Hippokratikern, benannt nach Hippokrates von Kos (etwa 460 bis 370 v. Chr.). Systematisiert und weiterentwickelt wurde sie später u. a. durch Galenos von Pergamon, der im 2. nachchristlichen Jahrhundert lebte, sowie im Mittelalter durch arabische Ärzte wie Ibn Sina (Avicenna). Auch eine Hildegard von Bingen vertrat im 12. Jahrhundert trotz vieler Eigenheiten diese klassische Theorie aus dem antiken Griechenland. Hippokrates, Galen und Avicenna sowie daneben die Schriften von Plinius und Dioskurides aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. bestimmten die europäische Medizin bis in die Neuzeit. Im Falle von Galen wurden sie auch nach gut 1500 Jahren noch dogmatisch gelehrt, obgleich jedem Mediziner eigentlich hätte auffallen müssen, dass einige Annahmen Galens so nicht stimmen können - etwa bzgl. des Blutkreislaufes.

Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim (ca. 1493 bis 1541), der sich wohl in Anlehnung an den römischen Autoren Aulus Cornelius Celsus (etwa 25 v. Chr. bis 50 n. Chr.) selbst Paracelsus nannte, war im 16. Jahrhundert einer der ersten prominenten Vertreter, die mit der alten Tradition brechen wollten. Dazu verbrannte er in Basel öffentlich die Schriften von Galen und Avicenna. Mit seiner Iatrochemie war Paracelsus Vorreiter für isolierte Wirkstoffe und synthetische Arzneimittel wie wir sie heute kennen. Doch die Humoralpathologie, gegen die er sich so auflehnte, sollte noch bis Mitte des 19. Jahrhundert überdauern.

Im 17. und 18. Jahrhundert wurden die Mängel der alten Lehre immer offensichtlicher. Durch anatomische Studien waren viele Beschreibungen Galens mittlerweile widerlegt. Rückblickend betrachtet gab es wohl kaum eine Zeit in Europa, in der Mediziner orientierungsloser praktiziert haben als damals. Es wurden in einem Maße Brechmittel und Abführmittel verabreicht sowie zur Ader gelassen, wie es in Antike und Mittelalter nie der Fall gewesen ist. Vor diesem Hintergrund ist Samuel Hahnemanns Wirken zu betrachten, der die Schwächen der Medizin seiner Zeit kennend, ab 1796 seine Vorstellungen veröffentlichte. Um diese Zeit behandelte man einen Darmverschluss bspw. noch mit einem großen Glas Quecksilber. Die Überlebenschancen des Patienten waren nicht sonderlich hoch, aber ohne das Quecksilber hatte er so gut wie überhaupt keine Chance. Eine Operation war aufgrund mangelnder Anästhesie und Hygiene extrem schmerzhaft und immer akut lebensgefährlich. Ein Glas Quecksilber bot ein günstigeres Nutzen-Risiko-Verhältnis. Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug damals nur etwas über 30 Jahre, was nicht zuletzt an der hohen Säuglingssterblichkeit von 25 bis 30 Prozent lag. Mit solchen Zuständen wollte sich Hahnemann nicht zufrieden geben als er sein biochemisches Verfahren der Homöopathie (letztlich durch Fehlinterpretation einer allergischen Reaktion) ersann. Man muss hier deutlich anmerken, dass alle negativen Äußerungen Hahnemanns zur universitären Medizin sich auf die ausklingende Humoralpathologie beziehen und nicht etwa auf unsere heutige Medizin, die auf Grundlage der Zellularpathologie erst gut 20 Jahre nach dem Tode von Hahnemann begründet wurde.

Heute gibt es neben der klassischen Homöopathie noch zahlreiche weitere Strömungen wie etwa die genuine Homöopathie, die Bönninghausen- und Boger-Methode, die miasmatische Homöopathie, die prozessorientierte Homöopathie, die kreative Homöopathie, die Impuls- und Resonanzhomöopathie, die Elektronische Homöopathie (frequenzbasiert), die Seghal- und Herscue-Methode, die central delusion, C4-Homöopathie, sowie quantenlogische Homöopathie, oderorganotrope und personotrope Homöopathie. Auch die von Wilhelm Heinrich Schüßler propagierten Schüßler-Salze und die auf Edward Bach zurückgehende Bach-Blütentherapie wurden aus der Homöopathie heraus entwickelt. Ihnen allen gemein ist, dass sie sich - wenn überhaupt - nur sehr schwer mit den Naturgesetzen vereinbaren lassen. Insb. verschließen sich diese teils sehr abenteurlich anmutenden Thesen jeglicher wissenschaftlichen Falsifikationsmöglichkeit. Evidenz liegt bislang für keine dieser Methoden vor, wenn man Placebo-Effekt und eine etwaige psychologische Wirkung eines ausführlichen Beratungsgespräches ausschließt. Anzumerken ist, dass Placebo-Effekte durchaus auch bei Tieren oder kleinen Kindern nachweisbar sind und sogar bei Patienten, die wissen, dass sie ein Scheinmedikament einnehmen. Selbst für Komplexmittel in Niedrigpotenz, in denen also tatsächlich noch Spuren von Wirkstoffen enthalten sind, ist die Evidenz äußerst schwach.

Zur gängigen Verwechslung der Homöopathie mit der Pflanzenheilkunde sei hier noch erwähnt, dass als homöopathische Grundsubstanzen neben verschiedenen Giftpflanzen wie Tollkirsche oder Eisenhut ebenso Elemente wie Quecksilber, Schwefel oder Phosphor sowie auch bizarr erscheinende Stoffe wie Hundekot oder Stücke der Berliner Mauer verwendet werden. Für Laien ist dies aufgrund lateinischer Bezeichnungen teils nur sehr schwer nachzuvollziehen. Oder wüssten Sie, dass sich hinter „Blatta orientalis“ eine Kakerlake als Grundsubstanz verbirgt? „Excrementum caninum“ oder „Murus berlinensis“ lassen sich mit etwas detektivischem Gespür aber ggf. etwas leichter entziffern...

Als Hahnemann 1843 starb, steckte die Naturheilkunde gerade in den Kinderschuhen. Der Begriff war 1839 bei Johann Baptist Gross erstmals erwähnt worden, Definition und Nomenklatur entstanden bis 1848. Der Arzt Lorenz Gleich nannte in diesem Jahr "Wasser, zweckmäßige Diät, Bewegung, Luft, Licht und Wärme mit Ausschluß aller sogenannten Medikamente" als Naturheilkunde. Die Naturheilkundebewegung des 19. Jahrhunderts entstand innerhalb der Lebensreform, die Kritik an Industrialisierung und somit an Materialismus sowie Urbanisierung übte. Arzneimittel in jeglicher Form wurden damals strikt abgelehnt, das galt auch für Arzneipflanzen. Hauptaugenmerk lag damals auf einer gesunden Lebensweise, also auf Prävention. Mit der Industrialisierung war bspw. Alkoholismus erstmals zu einem ernsten Problem der Gesellschaft geworden, die heute bekannten Zivilisationskrankheiten sollten folgen. Erst Sebastian Kneipp führte im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts die Arzneipflanzen in die Naturheilkunde ein - gegen teils erbitterte Widerstände aus den eigenen Reihen. So entstand die Naturheilkunde mit ihren fünf Säulen wie wir sie heute kennen: Wasser, Ernährung, Bewegung, Ordnung und eben die Pflanzenheilkunde (oder modern Phytotherapie).

Die Naturheilkunde ist heute ein Teil der naturwissenschaftlichen oder evidenzbasierten Medizin, die seit den 1870ern von Homöopathen mit dem abfälligen Kampfbegriff "Schulmedizin" tituliert wird. Im Gegensatz zur Homöopathie und anderen Methoden der sg. "Alternativmedizin" verschließen sich die fünf Säulen der Naturheilkunde nicht der wissenschaftlichen Überprüfung. Naturheilverfahren sind rational erklärbar und auch reproduzierbar. Ob ein Wirkstoff natürlich oder synthetisch ist, spielt wissenschaftlich gesehen erst einmal keine Rolle. In beiden Fällen lassen sich positive und negative Effekte im menschlichen Organismus messen, erklären und reproduzieren, auch wenn noch nicht für alle Wirkstoffe der komplette Wirkmechanismus entschlüsselt ist. Ob nun ein pflanzlicher Wirkstoff einen Rezeptor besetzt und somit ein Enzym blockiert oder ein synthetischer, ist also wissenschaftlich gesehen absolut unerheblich. Herrlich streiten kann man sicherlich über Vor- und Nachteile isolierter Wirkstoffe gegenüber den Vielstoffgemischen, die pflanzliche Zubereitungen üblicherweise darstellen. Arzneipflanzen enthalten Dutzende bis Hunderte chemische Stoffe, die zu einer Wirkung beitragen können, auch wenn industriell verarbeitete Phytopharmaka seit rund 50 Jahren meist auf einen bestimmten Gehalt an ein bis zwei wirksamkeitsbestimmenden Stoffen standardisiert sind.

Die weiteren Säulen der Naturheilkunde lassen sich ebenso mit etwas Chemie, Physik oder Psychologie erklären, es braucht dazu keine übernatürlichen Wesen und auch keine Stringtheorie mit elf Dimensionen. Hier grenzt sich die Naturheilkunde klar von der sg. "Alternativmedizin" mit esoterischen bis pseudo-wissenschaftlichen Erklärungsversuchen ab. Die Naturheilkunde kennt auch keine "Wundermittel", obwohl man manche Pflanzen wie etwa die Kamille, den Ingwer oder die Kapuzinerkresse aufgrund der Vielfalt ihrer Indikationen fast als solche bezeichnen könnte. Indikationslyrik hingegen ist eines der vielen Anzeichen für unseriöse Methoden.

Der aktuelle Fall in den USA bietet eigentlich Stoff für einen eigenen Artikel. Schon 2010 kam es bei dem Mittel, das Kindern während des Zahnens verabreicht wird, zu größeren Problemen. In den Proben wurden höchst unterschiedliche Konzentrationen der Grundsubstanz Schwarze Tollkirsche gefunden. Daraufhin gelobte der Hersteller Besserung und änderte nach eigenen Angaben die Rezeptur. Wie dies alles auf Basis der Lehre Hahnemanns möglich sein soll, mögen Homöopathen unter sich ausmachen. In den vergangenen Jahren kam es zu 400 Meldungen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) und zu zehn Todesfällen. Die amerikanische Fachgesellschaft für Pädiatrie rät hingegen komplett von Medikation während des Zahnens ab. Eltern sollten sich unserer Meinung nach die Frage stellen, ob sie Kinder tatsächlich schon vom Säuglingsalter an auf industrielle Arzneimittel konditionieren wollen. Mit Naturheilkunde hat das jedenfalls nichts zu tun.

Links zum aktuellen Fall mit Homöopathika in den USA:
http://www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm523468.htm
http://edition.cnn.com/2016/10/12/health/hylands-teething-tablets-discontinued-fda-warning/index.html
https://www.healthychildren.org/English/ages-stages/baby/teething-tooth-care/Pages/How-to-Help-Teething-Symptoms-without-Medications.aspx

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