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Der Bärlauch (Allium ursinum) gehört zu den ersten Pflanzen des Jahres, die von kundigen und auch eher unkundigen Kräuterinteressierten im Wald gesammelt werden. Insbesondere in Baden-Württemberg und in der Schweiz, wo sich die Lauchart gerne in Gesellschaft der Herbstzeitlosen zeigt, kommt es immer wieder zu tödlichen Verwechslungen. Auch das Maiglöckchen ist ein gefürchteter, wenn auch nicht ganz so gefährlicher Doppelgänger. (Siehe dazu hier.)

Der Bärlauch-Hype der letzten Jahre, gerade auch bei kräuterunkundigen Mitmenschen, erstaunt etwas, war der Bärlauch doch als Nutzpflanze für Nahrung oder gar Medizin bis in die späten 1980er fast komplett vergessen. Und auch im Mittelalter spielte die Pflanze in den deutschsprachigen Gebieten so gut wie keine Rolle.

Zuvor (Antike) und danach (Neuzeit) hat sich der Bärlauch seinen Platz in der Medizingeschichte vor allem mit dem Knoblauch teilen müssen, wovon der teils heute noch gebräuchliche Trivialname Wald-Knoblauch zeugt. Schon mit der Eroberung Germaniens um die Zeitenwende vor 2.000 Jahren kam der Knoblauch aus Südeuropa und machte der damals 'hramusan' (germanisch) und später 'ramsada' (althochdeutsch) genannten Pflanze Konkurrenz. Von diesen alten Namen zeugen heute noch Trivialnamen wie 'Ramser', 'Ramsen' oder 'Rämsch' sowie das englische 'ramsons' oder das dänische 'Ramsløg'. Folgt man dem neuzeitlichen Botaniker Bock, so hat bereits der antike Arzt Pedanios Dioskurides mit dem Waldt- oder Schlangenknoblauch den Bärlauch beschrieben, der übler stinke als die Kulturpflanze, aber möglicherweise auch kräftiger sei. Julius Berendes identifiziert die 'Ophioskorodon' genannte Pflanze in seiner Dioskurides-Übersetzung jedoch als Schlangen-Lauch (Allium scorodoprasum).

In der karolingischen Reichsgüterverordnung "Capitulare de villis", die um 812 entstanden ist, könnte der Bärlauch als 'uniones' evtl. noch Erwähnung finden. Als alternative Interpretation wird hier Allium fistulosum genannt, die Winterzwiebel.

In den Kräuterbüchern der Väter der Botanik ist der Bärlauch dann sicher zu finden. Schon Leonhart Fuchs differenziert 1543:
"Des Knoblauchs seind fürnemlich drey geschlecht. Das erst / garten oder zamer Knoblauch genent. Des andern / von Griechen Ophioscorodon geheyssen / seind widerumb zweyerley geschlecht. Das erst haben wir schlecht wilden Knoblauch genent / das ander aber Feldknoblauch. Noch ist ein geschlecht des wilden Knoblauchs / welcher zu Latein würt Ursinum geheyssen / denselbigen haben wir darumb das er in wälden gern wechßt / Waldknoblauch geheyssen."

Außerdem schreibt er:
"Der Waldknoblauch ist ein kraut gemeinlich mit zweyen grossen breyten blettern / die vergleichen sich aller ding dem Meyenblümlin kraut. Zwüschen disen blettern kreücht herauß ein stengel oder zween / darauff wachsen weisse blumen / die seind gestirnt / und die blettlin underscheydlich von einander gesetzt. Die wurtzel ist weiß / anzusehen als ein kleiner junger garten Knoblauch / der nit über ein monat im erdtrich ist gestanden. Diser Waldknoblauch hat einen bösen starcken geruch."

Bzgl. Kraft und Wirkung unterscheidet Fuchs die Arten jedoch nicht. Bekannt sind heute zwei Stellen aus seiner Monografie:
"Knoblauch gessen widersteet allem gifft / darumb jhn Galenus nent ein Theriack der bauren."
Und:
"Ein rauch mit Knoblauch und seinen blettern gemacht / bringt den frawen jhre blödigkeyt."

Außer bei Fuchs und Bock findet sich der Bärlauch u. a. bei Lonitzer und Mattioli. Lonitzer differenziert Hunds-, Waldt- sowie Acker- oder Feldknoblauch. Zur Wirkung der verschiedenen Arten schreibt er:
"Der Hundsknoblauch hat gleiche krafft und wirckung mit dem Schnittlauch / ist aber schärpffer und trückner."
Zerstoßen und mit Wein getrunken treibe er die Würmer aus dem Leib, den Harn ebenso und verhindere zudem Blut im Harn. Aufgrund seiner heißen Natur aber sei er schädlicher für den Magen als der Lauch. In Essig könne man ihn das ganze Jahr aufbewahren. Auch die "Frauwenzeit" treibe er "gewaltiglich".

Zum Waldtknoblauch (griechisch Ophioscorodon, als lateinischen Namen gibt er Allium colubrinum an) schreibt er:
"Hat die gleiche krafft und wirckung mit dem Knoblauch, ist aber etwas hefftiger. Stinckt so vhel und reucht so starck daß auch die Milch den geschmack an sich nimpt so in das Viehe versucht."
Den Ackerknoblauch beschreibt er als etwas schwächer als den Knoblauch, als Gemüse gekocht schmecke er süßlich.

Bei Mattioli hat Allium colubrinum (bzw. Ophioscorodon) den Trivialnamen Wilder Knoblauch. Angaben zur Wirkung sind in der deutschen Ausgabe teils identisch mit Lonitzer. Außerdem schreibt er, man könne Vögel leicht fangen, so sie denn den Wilden Knoblauch gefressen haben:
"Welcher Vogel daruon isset den kan man leucht mit der Hand fangen denn er erstunnet leicht daruon."

Später findet sich die Pflanze dann noch bei Künzle:
"Sieht eini us grad wie ne Lich
und ist an alle Schmerze rich
und volle Gift und Grind und Mose
de Bärlauch macht sie zonere Rose."

Erst in den 1990ern rückte die Pflanze wieder in das Blickfeld der Medizin. In mehreren Untersuchungen wurden die Inhaltsstoffe mit denen des Knoblauchs verglichen. Schon damals wurden von Laien gerne die historischen Quellen zu Knoblauch und Bärlauch vermischt und ausgeschmückt.

Frühe wissenschaftliche Untersuchungen wiesen eine präventive Wirkung gegen Artherosklerose nach (die häufigste Form der Arteriosklerose), etwas später einen Effekt auf bereits in Makrophagen eingelagerte Lipide. So wurde aufgrund des geringeren Alliin- beziehungsweise Allicinverhältnisses gegenüber dem Knoblauch zwar eine geringere antithrombotische beziehungsweise antisklerotische Wirkung unterstellt, dies konnte aber schnell widerlegt werden: Mit einem Cyclooxygenase- beziehungsweise 5-Lipoygenasetest wurden für Bärlauch und Knoblauch vergleichbare Effekte erzielt. Beim Ajoengehalt, Abbauprodukt von Methylallyl- und Allylmethylthiosulfinat, steht der Bärlauch sogar besser da als der Knoblauch. Für ein Bärlauch-Frischblatt-Granulat gibt es anhand eines ACE-Tests Hinweise auf eine blutdrucksenkende Wirkung - im Gegensatz zu den Zwiebeln beider Pflanzen.

Literaturhinweise:
Thomas Richter: Bärlauch in Medizin und Mythologie. Pharmazeutische Zeitung, Ausgabe 27/1999.
Gerhard Madaus: Lehrbuch der Biologischen Heilmittel, 1938.
Leonhart Fuchs: New Kreüterbuch, 1543.
Adam Lonitzer: Kreuterbuch, 1557 (hier: Ausgabe 1593).
Pietro Andrea Mattioli: New Kreüterbuch, 1563.
Sendl et al.: Comparative pharmacological investigations of Allium ursinum and Allium sativum. Planta Med. 1992 Feb;58(1):1-7.
Sendl: Allium sativum and Allium ursinum: Part 1 Chemistry, analysis, history, botany. Phytomedicine. 1995 Apr;1(4):323-39.
Reuter: Allium sativum and Allium ursinum: Part 2 pharmacology and medicinal application. Phytomedicine. 1995 Jul;2(1):73-91.
Stajner et al.: Comparative study of antioxidant properties of wild growing and cultivated Allium species. Phytother Res. 2008 Jan;22(1):113-7.
Sobolewska et al.: Allium ursinum: botanical, phytochemical and pharmacological overview. Phytochem Rev. 2015;14(1):81-97. Epub 2013 Dec 25.

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