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Im Internet wird auf verschiedenen Seiten suggeriert, Hildegard von Bingen hätte bei Verschleimungen die Anwendung von kolloidalem Silber empfohlen, um damit letztlich überteuertes Silberwasser zu bewerben. Doch was hat die Äbtissin im 12. Jahrhundert tatsächlich über Silber geschrieben?

Folgend das komplette Kapitel zu Silber in der „Physica“ (Buch 9, Kapitel 2) in der Übersetzung von Prof. Ortrun Riha (Lehrstuhl für Medizingeschichte an der Uni Leipzig):

„Silber ist kalt und stammt von der kalten Luft, die jenen kalten Wind enthält, der auch die Erde kalt macht.
Ein Mensch, der in sich einen Überschuss an Säften hat und diese oft auswirft, soll sehr gut gereinigtes Silber im Feuer zum Glühen bringen und so feurig in guten Wein legen. Das soll er drei- oder viermal tun, damit der Wein davon warm wird, und so soll er ihn oft nüchtern und auf die Nacht trinken: Er vermindert die überschüssigen Säfte in ihm, das heißt, es bringt sie zum Verschwinden. Denn die starke Natur der Kälte des Silbers vermindert, wie gesagt, zusammen mit der Glut des Feuers und der erhöhten Hitze des Weines durch ihre Schärfe heiße und kalte und feuchte Säfte.
Wenn nun jemand Speise und Trank in einem silbernen Gefäß serviert bekommt, nützt ihm das nicht viel, schadet aber auch nicht der körperlichen Gesundheit. Wenn aber jemand zu Pulver gemachtes Silber äße, wäre es in seinem Magen zu schwer und zu kalt, und er würde auch später davon Schaden nehmen, selbst wenn es ihm zunächst gegen irgendeine Krankheit helfen würde.“

Aus diesen Zeilen können wir kaum schließen, dass Hildegard Mitte des 12. Jahrhunderts kolloidales Silber tatsächlich gekannt oder gar empfohlen hat. Vielmehr warnt sie sogar ausdrücklich vor der Anwendung von Silberpulver.

Die erste Anwendung erinnert vielmehr an andere Empfehlungen, bspw. das Erhitzen des Stirnbeines eines Elefanten in der Sonne, um es dann bei Kopfschmerzen auf das Haupt zu legen. Hitze und Kälte sowie Trockenheit und Feuchte waren in der Säftelehre (Humoralpathologie) die primären Qualitäten aller Arzneimittel. Gerade Hitze und Kälte spielten bei Hildegard eine überragende Rolle.

Kolloidales Silber besteht aus Nanopartikeln mit je 1 bis 100 Nanometern Größe. In jedem Partikel sind etwa 1.000 bis 1 Milliarde Silberatome bzw. Moleküle der entsprechenden Silberverbindung enthalten.

Verschiedene experimentelle Studien bescheinigen kolloidalem Silber eine antibakterielle Wirkung auf Bakterienstämme in der Petrischale. Dies sagt aber wenig über die tatsächliche positive wie negative Wirkung im lebenden Organismus. Etwas überspitzt ausgedrückt helfen auch Salzsäure oder ein Flammenwerfer ziemlich zuverlässig gegen viele Bakterien außerhalb des Körpers.

Im Europäischen Arzneibuch ist kolloidales Silber zum äußerlichen Gebrauch in Monografie 02281 beschrieben. Es handelt sich um eine Silber-Eiweiß-Verbindung mit einem Gehalt von 70 bis 80 Prozent an elementarem Silber. Diese wurde insbesondere im frühen 20. Jahrhundert zur Wundversorgung eingesetzt und steht heute noch als Reserve zur Verfügung.

Das in der Alternativmedizin propagierte Silberwasser enthält 25 bis 50 parts per million (ppm) Silberatome. Dies entspricht letztlich einer homöopathischen Verdünnung von 1:20.000 bis 1:40.000, also in etwa einer Q-Potenz.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) warnte 2009 in einer Broschüre ausführlich vor dem unreflektierten Gebrauch von kolloidalem Silber. So sind bspw. irreversible Silberablagerungen im Organismus möglich, die zu Dunkelverfärbung der Haut (Argyrie) oder lokalen Einlagerungen, insbesondere am Auge (Argyrose), führen können. In präklinischen Studien wurde zudem nachgewiesen, dass Nanosilber zelltoxisch wirkt, da es oxidativen Stress verursacht. Als besonders gefährdet gelten Zellen in der Lunge, Leber, Haut, dem Gehirn und den Geschlechtsorganen. Neurologische Beeinträchtigungen sind ebenso anzunehmen, darunter Geschmacks- und Gangstörungen, Schwindel- oder Krampfanfälle. Für DNA-Schädigungen bis hin zu Sarkomen gibt es gemäß dem österreichischen Bundesministerium für Gesundheit zumindest Hinweise.

Aus den genannten Gründen können wir die innerliche Anwendung von kolloidalem Silber nicht empfehlen und müssen sogar ausdrücklich davor warnen. Weder Hildegard von Bingen noch die aktuelle Forschung implizieren einen möglichen Heilungserfolg durch kolloidales Silber – im Gegenteil.

Weiterführende Materialien:
http://www.bund.net/fileadmin/bundnet/publikationen/nanotechnologie/20091202_nanotechnologie_nanosilber_studie.pdf
http://www.bfr.bund.de/cm/343/bfr_raet_von_nanosilber_in_lebensmitteln_und_produkten_des_taeglichen_bedarfs_ab.pdf
http://bmg.gv.at/cms/home/attachments/9/7/2/CH1180/CMS1288805248274/bmg_nanosilber_fassung_veroeffentlichung_final__mit_deckblaetter1.pdf

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