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Das Immenblatt, das gerade blüht, besitzt eine der schönsten Blüten unter den Pflanzen aus der auch sonst an Schönheit reich gesegneten Familie der Lippenblütler. Dennoch scheint sie vielen unbekannt zu sein. Kein Wunder, denn zumindest in den nördlichen Regionen Deutschlands gilt sie als bedroht.

Botanisch heißt die Pflanze Melittis melissophyllum L., und dies ist der Ausgang für erstaunliche Verwirrungen. Bereits seit der Spätantike - etwa in der ‚Materia medica‘ des griechischen Arztes Dioskurides (zwischen 60 und 70 n. Chr.) und beim römischen Enzyklopädisten Plinius dem Älteren (gest. 79 n. Chr.) - wird eine Pflanze mit dem Namen „Melissophyllon“ behandelt. Melissophyllon bedeutet „Bienenblatt“, manchmal findet sich in späteren Texten auch „Melissophillon“, was ein Schreibfehler sein könnte; aber auch diese Bezeichnung ist sinnvoll, denn das heißt „Bienenlieb“, also eine Pflanze, die Bienen besonders schätzen.

ImmenblattBlühendes Immenblatt in Bad Windsheim.


Die Autoren der ersten gedruckten Kräuterbücher des 15. und 16. Jahrhunderts haben diese Pflanze mit der Melisse (Melissa officinalis) identifiziert und ihnen sind auch die meisten Medizin- und Pharmaziehistoriker des 20. Jahrhunderts gefolgt. Wenn diese Identifizierung falsch ist, dann kommt die Melisse in den Texten der Antike nicht vor. Nun schreibt Dioskurides, dass Melissophyllon auch „Erythra“, die Rötliche genannt wird, Melisse blüht jedoch niemals rötlich, dafür jedoch ganz eindeutig das Immenblatt. Auf der anderen Seite berichtet er von einem zitronenartigen Geschmack der Blätter, den besitzt nun auf jeden Fall das Blatt der Melisse, die deshalb im Volksmund auch „Zitronenmelisse“ genannt wird, auch wenn es gar keine andere Melisse gibt. Allerdings können auch die Blätter des Immenblatts einen ganz leichten Duft nach Zitrone besitzen.

Immenblatt
Die Gattung Melittis ist monotypisch, das heißt, sie besteht lediglich aus Melittis melissophyllum. Es gibt je nach Definition zwei oder drei Unterarten.


Galen von Pergamon, der wichtigste Arzt der Antike, schreibt im 2. Jahrhundert n. Chr.:
„Melissophyllon ist ähnlich dem Prassium (gemeint ist Andorn), bleibt aber in seiner Wirkung weit dahinter zurück, deswegen macht kein Mensch von ihm Gebrauch. Es ist völlig sinnlos, wenn man Prassion hat, das auf der ganzen Welt vorhanden ist, vom Melissophyllon Gebrauch zu machen. Wenn aber jemand das Prassium nicht bei der Hand hat, dann darf er das Melissophyllon anwenden, aber unter der Einschränkung, dass er sich darüber im Klaren ist, wie schwach es in seiner Wirkung im Vergleich zum Prassium ist.“

Kann damit wirklich die später hochgeschätzte Melisse gemeint sein?

Dioskurides und Plinius sind noch 100 Jahre zuvor anderer Meinung und empfehlen Melissophyllon bei Zahnschmerzen als Spülung, als Klystier gegen Durchfall, bei Koliken und Atemnot, gegen Geschwüre und Gelenkschmerzen.

Nach heutiger Sicht hatte jedoch Galen von Pergamon recht. Das Immenblatt ist längst aus dem offiziellen Arzneischatz verschwunden, auch wenn man durchaus Anwendungen im Internet finden kann. Keine davon ist jedoch wirklich belegt, was nicht heißen muss, dass eine Anwendung völlig sinnlos wäre. Es fragt sich nur welche, denn dazu fehlt es an Forschung. Auf jeden Fall lohnt sich jedoch ihre Aufnahme in die Blumenbeete. Die blühende Pflanze ist wirklich eine Pracht und wird jedem Gartenliebhaber große Freude bereiten. Und das ist ja auch schon fast wieder eine arzneiliche Wirkung!

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